Donnerstag, 16. November 2017

The Kohfeldt Chronicles, Part I

Mit Florian Kohfeldt übernimmt zum dritten Mal hintereinander der U23-Trainer Werders Profimannschaft. Unabhängig von der Person Florian Kohfeldt schlägt Werders Geschäftsführer Sport Frank Baumann für diese Entscheidung harsche Kritik entgegen: Sind Kohfeldts Vorgänger nicht auch beide gescheitert? Warum sollte es unter dem dritten Bundesliganeuling aus dem eigenen Stall nun besser werden? Und vor allem: Hat die berühmt-berüchtigte Werder-Familie es völlig verlernt, renommierte externe Trainer für einen Job bei Werder Bremen zu begeistern und zu verpflichten? Will man etwa ewig im eigenen Saft schmoren?

Dass die Entscheidung für Kohfeldt kritisiert werden würde, war Frank Baumann offensichtlich klar. Warum sonst hätte er sich nach der Ernennung Kohfeldts zum Cheftrainer derart offen darüber äußern sollen, dass man alle Optionen geprüft habe, "auch in der Kategorie Thomas Tuchel"? Auf diese Weise wollte Baumann wohl denjenigen den Wind aus den Segeln nehmen, die ihm vorwarfen, nicht wenigstens bei den Schwergewichten der Trainerbranche angefragt zu haben. Dass Frank Baumann in diesem Zusammenhang von "besseren Trainern" als Florian Kohfeldt sprach, ist vielleicht kommunikativ unglücklich, letztlich die Aufregung aber nicht wert. Die Begründung: "Die Tuchels und Favres haben wir nicht bekommen, die Labbadias und Schuberts wollen wir nicht und mit Florian Kohfeldt haben wir ein Riesentalent im eigenen Stall" finde ich noch immer einleuchtend. Bedauerlich - aber nachvollziehbar - ist vielmehr, dass Werder nicht mehr genügend Strahlkraft besitzt, um beispielsweise den Trainer des Schweizer Tabellenführers an die Weser zu locken.

Ob Florian Kohfeldt ein guter Bundesligatrainer wird, ist jetzt natürlich noch nicht abzuschätzen. Die Voraussetzungen dafür hat er: Als Jahrgangsbester der DFB-Ausbildung zum Fußball-Lehrer 2015 war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis er auf dem Cheftrainersessel bei Werder Platz nimmt. Doch diese "Frage der Zeit" könnte am Ende allesentscheidend sein. Hätte es ihm nicht gut getan, noch mehr Erfahrung in der U23 zu sammeln und in der dritten Liga seine Trainerhandschrift zu schärfen? Gerade einmal ein Jahr konnte er sich dort beweisen und tat dies mit dem Klassenerhalt im Frühjahr 2017 mit Bravour. Just vor seiner Beförderung zum Profitrainer durchlebte seine U23 allerdings eine ausgewachsene Krise von zehn sieglosen Spielen hintereinander, darunter eine 1:7-Klatsche in Paderborn. In dieser Situation die richtigen Mittel und Wege zu finden, um Werders U23 wieder auf Kurs zu bringen, wäre für einen jungen Trainer wie Kohfeldt wohl eine unbezahlbare Erfahrung gewesen. Gerade in einer U23, die nicht den gleichen Erfolgsdruck hat wie die anderen Vereine in der dritten Liga, wäre dies möglich gewesen.

Nun ist die Entscheidung aber gefallen und Florian Kohfeldt stellt sich seiner neuen Aufgabe mit einer öffentlichen Selbstdarstellung, die souveräner wohl kaum sein könnte. Er macht sich nichts vor: Die öffentliche Skepsis am dritten U23-Trainer auf dem Chefposten ist ein Fakt und nur Erfolge auf dem Platz in Form von Punkten können die Skepsis lindern. ("Am Ende müssen wir uns alle an Ergebnissen messen lassen, egal wer hier sitzt. Wer drei-, vier- oder fünfmal hintereinander verliert, der hat keine Argumente.") Den Weg zum Erfolg möchte der neue Trainer anders beschreiten als noch sein Vorgänger. Alexander Nouris Fokussierung auf die Defensive unter Vernachlässigung jeglichen Ballbesitz- und Angriffsspiels brachte nicht nur keinen Erfolg, sondern erzürnte die Fans und schien auch dem Team selbst zu widerstreben. Kohfeldts Debüt gegen Frankfurt war - trotz des mehr als bitteren Ausgangs - deshalb ein Hoffnungsschimmer auf eine Rückkehr des offensiven und hoffentlich erfogreichen Fußballs an die Weser.

Entscheidend wird in den kommenden Wochen sein, dass Frank Baumann aus den Erfahrungen lernt, die er in der Zusammenarbeit mit Viktor Skripnik und Alexander Nouri gesammelt hat. Wie er seinen Chefrtrainern stets den Rücken gestärkt hat, war sicherlich vorbildlich und zahlte sich in Nouris unwahrscheinlicher Siegesserie in der vergangenen Rückrunde glücklicherweise aus. Doch dieser Segen wurde wohl zum Fluch, denn mit der Siegesserie im Rücken hatte Nouri plötzlich eine  Machtposition gegenüber Werders Verantwortlichen (die "nach Jahren voller Frust" so sehr nach Erfolg lechzen, dass sie sich einem erfolgreichen Trainer nur allzu gern mit Haut und Haaren ausliefern würden), die einem derart unerfahrenen Trainer nicht unbedingt gut tut. Die auf Betreiben Nouris erfolgten Trennungen von den im Verein hochgeschätzten Wiedwald, Pizarro und Bruns schienen das Verhältnis zwischen Trainer und Team nachhaltig beschädigt zu haben. Die Frage ist: Hätte Baumann hier nicht klarer Position beziehen müssen? Hätte er sich den Wünschen eines zwar kurzzeitig erfolgreichen, aber noch längst nicht etablierten Trainers derart beugen dürfen? Brauchen die jungen Trainer, die Werder immer wieder in Amt und Würden bringt, nicht viel mehr Führung?

Genau an dieser Stelle setzen wohl Werders Gedankenspiele rund um einen so genannten "Technischen Direktor" an. Der Technsche Direktor bei Werder soll kein Über-Trainer , sondern eine Konstante und ein Ansprechpartner für alle Trainer im Verein sein. Angesprochen darauf, ob Trainer so etwas überhaupt möchten, antwortete Thomas Schaaf, der Top-Kandidat auf diese neue Position bei Werder: "Führungskräfte in der Wirtschaft vertrauen doch auch Mentoren, um sich weiterzuentwickeln. Das ist ganz normal." Ganz ähnlich äußerte sich interessanterweise auch Werders neuer U23-Coach, Oliver Zapel, im vergangenen September: "Generell denke ich, dass jedem Trainer eine Art Mentor, jemand, der einen regelmäßig reflektiert und kritisch berät, gut zu Gesichte stehen würde." Denn die Idee, Trainer im Verein selbst zu entwickeln (also der vielfach belächelte "Werder-Weg"), ist weiterhin gut. Doch sie scheiterte zuletzt immer daran, dass die Trainer auf der Bundesligaebene überfordert wirkten und ihrer Linie nicht treu blieben. Gerade hier einen Mentor und "Sparringspartner" im Verein zu installieren, könnte eine entscheidende Verbesserung darstellen und aus einem Trainertalent wie Florian Kohfeldt einen gestandenen Bundesligatrainer machen, den wir seit Thomas Schaaf nicht mehr hatten.

Darüber hinaus sollte sich Frank Baumann auch die Zusammensetzung des Trainerteams noch einmal genau anschauen. Tim Borowski bringt den Blick eines erfahrenen Bundesliga- und Nationalspielers mit und Thomas Horsch war schon in der dritten Liga Kohfeldts Vertrauter. Was noch fehlt, ist die Erfahrung als Co-Trainer auf Bundesliganiveau. Wenn selbst Bayern München Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um den erfahrenen Co-Trainer von Fortuna Düsseldorf, Peter Hermann, abzuwerben, sollte diese Position keinesfalls unterschätzt werden. Was macht eigentlich Michael Henke gerade..?

Damit sich die Hoffnung realisiert, mit Florian Kohfeldt eine dauerhaft erfolgreiche Lösung für die Trainerposition gefunden zu haben, sollte er am Sonntag mit dem Punkten beginnen. Die richtigen Rahmenbedingungen (Technischer Direktor, Trainerteam, kommunikative Rückendeckung) muss allerdings die Vereinsführung schaffen. Sollte sie dies versäumen, wäre auch der "Werder-Weg" bedauerlicherweise endgültig gescheitert.